Launenhaftigkeit eines Kollegen

  • Ich lasse mich gerne eines besseren belehren, wenn du mir erklärst, wie das realistisch funktionieren kann.

    Nun, da müsstest du mir zunächst sagen, wo du die unüberbrückbaren Hindernisse siehst.

    Natürlich braucht das Kind eine Assistenz/Schulbegleitung bzw. einen Gebärdensprachdolmetscher (wenn nicht CI-versorgt und ausreichend zu verbaler Kommunikation in der Lage).

    Blinde Schüler können Braille-Schrift und Screenreader nutzen.

  • Er kann relativ Problemlos auf das Gymnasium, auch dort findet ganz normale Inklusion über diverse Förderbedarfe statt, auch wenn oft anderes unterstellt wird. Das Kernproblem am Gymnasium ist, dass dort kein zieldifferenter Unterricht geleistet werden kann. So lange es zielgleich ist, lässt sich fast alles andere irgendwie regeln.

    Da wird nichts unterstellt, guck bitte mal, wie viele Inklusionskinder in deinem Wohnort an einem Gymnasium und wie viele in einer Mittel-Sekundar-/Oberschule unterrichtet werden.

  • Soll mir alles recht sein. Ich werde mir hier nicht anmaßen, zu potulieren, was Menschen mit Beeinträchtigungen benötigen. Dazu fehlt mir die Kompetenz und es ist zum Glück auch nicht meine Aufgabe.

    Ich habe schon mit Ansteck-Mikros unterrichtet, Materialien auf DIN A3 kopiert und andere solche Dinge gemacht. Wenn es für einen tauben Schüler ausreicht, dass da ein Gebärdensprachdolmetscher dabei ist, dann soll mir das recht sein. Wenn der Schüler dann von Hörverstehensaufgaben ausgenommen ist, ist das für mich auch okay. Analog gilt das für blinde Schüler. Wenn da die Technik so weit ist, dass das alles funktioniert, dann können die natürlich auch in meinem Unterricht sitzen.

    Vom Gefühl her klingt das allerdings alles einfacher als es dann in der Praxis ist. Und damit will ich gar nicht sagen, dass ich meinen Unterricht nicht anpassen möchte. Wenn ich meinetwegen eben keine Hörverstehensaufgaben mehr machen darf, damit ein Schüler nicht ausgegrenzt wird, oder wenn ich keine Tafelbilder mehr entwickeln darf, sondern nur noch fertige PDF verwenden darf, die barrierefrei sind, dann mach ich das. Alles kein Problem.

    Aber: Ich würde mich dagegen wehren (- im sehr begrenzten Rahmen meiner Möglichkeiten -), dass mir ein blinder Schüler in den Klassenraum gesetzt wird und gesagt wird: Mach mal, die üblichen Vorgaben gelten weiterhin, aber das machst du schon irgendwie.


    EDIT: Das klingt sehr brüsk, ich meine das gar nicht so. Was ich oben zu den beiden autistischen Schülern, die wir verloren haben, geschrieben haben, ärgert mich enorm. Das hätte nicht sein müssen. Wir hatten auch schon Schüler, die stotterten, für die es keinen Nachteilsausgleich bei mündlichen Fremdsprachenprüfungen und im mündlichen Abitur gab. Auch keine Sonderregelungen.
    Ich will damit sagen: Mich ärgert diese "Macht mal" Mentalität, ohne wenigstens klare Handlungssicherheit zu vermitteln (von materiellen und finanziellen Ressourcen Rede ich ja schon gar nicht). Und mit dieser Erfahrung fehlt mir halt wirklich die Phantasie, wie das mit blinden oder tauben oder stummen Schülern funktionieren kann. Wenn es da realistische Möglichkeiten gibt, umso besser.

  • Da wird nichts unterstellt, guck bitte mal, wie viele Inklusionskinder in deinem Wohnort an einem Gymnasium und wie viele in einer Mittel-Sekundar-/Oberschule unterrichtet werden.

    Über Zahlen habe ich gar nicht gesprochen, es ist ganz objektiv so, dass Inklusionskinder mit GE und der überwiegende Teil mit ES eben nicht zielgleich beschult werden können und darum völlig zurecht nicht am Gymnasium sind und das ist für den Betroffenen auch gut so.

    Förderschwerpunkt Hören haben wir sogar überproportional viele im Vergleich zu Gesamtschulen, weil die bei uns tendenziell sogar besser aufgehoben sind.

  • Moebius

    Mit der Begründung könnten Schüler die nicht zielgleich unterrichtet werden auch nicht an einer Realschule beschult werden ?

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • es ist ganz objektiv so, dass Inklusionskinder mit GE und der überwiegende Teil mit ES eben nicht zielgleich beschult werden können

    Zumindest in NRW werden nur Kinder mit AOSF Lernen und GE zieldifferent unterrichtet. Für ESE gibt es diese Option imho nicht.

    Ist das in Niedersachsen anders vorgesehen?

  • Er kann relativ Problemlos auf das Gymnasium, auch dort findet ganz normale Inklusion über diverse Förderbedarfe statt, auch wenn oft anderes unterstellt wird. Das Kernproblem am Gymnasium ist, dass dort kein zieldifferenter Unterricht geleistet werden kann. So lange es zielgleich ist, lässt sich fast alles andere irgendwie regeln.

    Mein autistischer Schüler löst die schwierigsten Aufgaben und kann sie auch gut anderen erklären. Ich lasse ihm einfach die Aufgaben nach oben offen. Das müsste jedes Gymnasium schaffen. Der ist zufrieden, wer er tüfteln darf. Ich sehe allerdings Probleme, wenn ihn etwas nicht interessiert, momentan war das eigentlich noch nicht der Fall. Nur zu einfach sollte es nicht sein, daher wäre z.B. Hauptschule/Mittelschule oder wie die Schulen in den verschiedenen Bundesländern heißen vmtl. nichts, weil er einfach unterfordert wäre.

  • Das Kernproblem am Gymnasium ist, dass dort kein zieldifferenter Unterricht geleistet werden kann.

    Alle anderen Schularten schaffen das doch auch und auch dort ist das kein Spaziergang. Warum also sollen die Gymnasien zieldifferente Beschulung per se qua Schulart nicht leisten (müssen), jede andere Schulart aber schon?

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • So gesehen ist auch schon die Aussage, die oben irgendwo getroffen worden, dass Kritik an Inklusion eigentlich nie die Inklusion von rein körperlich beeinträchtigten meint - wobei das natürlich so pauschal auch nicht stimmt, Kinder, die völlig blind oder taub sind, wird natürlich keine Regelschule beschulen können, (…)

    Taube SuS habe ich tatsächlich noch nicht erlebt, blinde SuS durchaus. Ein ehemaliger Kommilitone von mir hat als blinder Schüler ein reguläres Gymnasium besucht und unterrichtet auch heutzutage an einem solchen als Lehrer.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Eine blinde Lehrerin war auch mal in einer Doku zu sehen, von vollständig gehörlosen Schüler*innen mit dauerhaftem Dolmetschereinsatz weiß ich auch (also schon vor 20 Jahren). Erkämpfte Einzelfälle, aber sicher immer mehr.

    Ich muss zugeben, die Mehrarbeit ist dann pro Schüler*in nicht ohne (und ich weiß, es ist an jeder Schulform so, ist also kein Argument gegen die Beschulung am Gym, es passt kognitiv durchaus). Alle Arbeitsblätter bzw. Vokabeltests und Klassenarbeiten in Schriftgröße 28 bzw. 36 ist nicht nur ein Klick. (2 sehbeeinträchtigte Schüler*innen), alle Emotionen umschreiben oder durch andere Aufgaben ersetzen (Asperger-Schülerin), in der Parallelgruppe sind schwerhörige Schüler*innen, die alternative Aufgaben brauchen. und so weiter...
    Es ist nicht DIE Welt, aber es summiert sich wirklich, wenn fast jede Klasse (zum Teil mehrfach) betroffen ist. Und das ist ein Problem der Inklusion: die Nicht-Berücksichtigung des Mehraufwands der Inklusion und die Sparmaßnahmen, die die Länder damit fahren. Auf Kosten der Schüler*innen und Lehrkräfte.

  • Mein autistischer Schüler löst die schwierigsten Aufgaben und kann sie auch gut anderen erklären. Ich lasse ihm einfach die Aufgaben nach oben offen. Das müsste jedes Gymnasium schaffen.

    Ein Schüler mit einer leichten Autismusspektrumsstörung muss auch nicht zieldifferent unterrichtet werden, sondern kann genau so wie jeder andere bei den entsprechenden Leistungen sein Abitur machen (diese Fälle hatten wir bereits).

    Alle anderen Schularten schaffen das doch auch und auch dort ist das kein Spaziergang. Warum also sollen die Gymnasien zieldifferente Beschulung per se qua Schulart nicht leisten (müssen), jede andere Schulart aber schon?

    Weil am Gymnasium am "30 SuS, 1 Lehrer Setting" nicht gerüttelt wird, wir haben aktuell irgendwo zwischen 30 und 40 Förderstunden für die Inklusion von SuS mit Förderbedarf. Noch nie hat eine Förderschullehrkraft unsere Schule betreten um dort Unterricht zu geben. Die Stunden werden durch Gymnasial-Kollegen ausgebracht, die jeden betroffenen Schüler für 2-4 Stunden pro Woche aus seiner Regelkasse nehmen und individuelle Dinge mit ihm machen, die übrigen ca. 28 Stunden pro Woche sind die SuS ganz regulärer Part der Klasse ohne dass diese zusätzliche personelle Unterstützung hätte. Das kann nur mit SuS funktionieren, die ein regulärer Part der Klasse seien können.

    Und eine abstrakte Diskussion über "dann müsste man Inklusion anders machen und ausstatten" führe ich nicht, meine Aussagen beziehen sich auf die aktuelle Realität.

  • Alle anderen Schularten schaffen das doch auch und auch dort ist das kein Spaziergang. Warum also sollen die Gymnasien zieldifferente Beschulung per se qua Schulart nicht leisten (müssen), jede andere Schulart aber schon?

    Im Idealfall muss das natürlich keine Schule leisten, da es Förderschulen gibt.

    Basierend auf dem, was ich an Realschule und Gymnasium erlebt habe, finde ich es in Realschulen aber noch praktikabler. In Englisch z.B. fand ich auffällig, dass es in den Realschulmaterialien zu jeder neuen eingeführten Grammatik erheblich mehr Übungsaufgaben gab, für die man laut internem Curricilum auch Zeit hatte. Wenn man also regelmäßig ausgedehnte Übungsphasen hat, hat man evtl. auch etwas mehr Zeit, sich um Inklusion zu kümmern. Am Gymnasium war es unter G8 oft so, dass es zu neuen Strukturen 1-2 Übungsaufgaben gab, die ich im Unterricht gemacht habe, Rest in der Hausaufgabe, next. Wenn man in erheblich höherer Schlagzahl neuen Input gibt, fehlt einfach die Zeit, "nebenbei" noch was anderes zu machen und sich um Belange von zieldifferenten Kindern zu kümmern.

  • Und du bestätigst nur, dass es absolut notwendig (wenn sicherlich auch schwierig) ist.

    So? Welche Not leiden wir denn, die (ab)gewendet werden müsste?

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Es wird in Zukunft an jeder Schulform Inklusion geben.
    Es geht nicht anders und ist richtig.
    Ohne Ausnahmen. Und auch zieldifferent.
    Bitte kommt mir nicht wieder mit Begründungen, warum es am Gymnasium nicht geht.
    Ich finde für jeden Schulform Gründe, die es nicht ermöglichen sollten.
    Aber es geht und funktioniert!

  • Weil am Gymnasium am "30 SuS, 1 Lehrer Setting" nicht gerüttelt wird, (…)

    Denkst du wirklich, dass andere Schularten diesbezüglich besser ausgestattet werden würden mit Personal, Räumlichkeiten, weiteren Voraussetzungen?

    Alles was du beschreibst trifft so für die meisten Grundschulen, SEK.1- Schulen und beruflichen Schulen zu. Trotzdem können diese Schularten sich keinen schlanken Fuß machen bei der Inklusion, müssen selbstverständlich und ganz ohne das je gelernt zu haben auch zieldifferent beschulen. Warum also sollten Gymnasiallehrkräfte nicht ihren Teil beitragen?

    Vielleicht ändert sich ja etwas künftig an den Bedingungen, wenn die Führungskräfte von morgen nicht nur die Segregation bestimmter Behinderungen erleben, sondern erleben, dass anders zu sein okay ist in der Gesellschaft, auch wenn es schön wäre, wenn Schulen generell personell besser ausgestattet und aufgestellt wären.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Ich gestehe, ich kenne mich mit Inklusion nicht besonders gut aus, da wir an unserer Schule damit noch nicht so viel Berührungen hatten.
    Deswegen meine ich die Fragen wirklich ernst:

    Aber es geht und funktioniert!

    Was ist denn dieses "es", das "geht" und was genau bedeuet "funktioniert"? Wenn wir mal von einem dreigliedrigen Schulsystem ausgehen, wie es ja in meinem Bundesland noch vorherrst. Es gibt hier keine Gesamtschulen. Was genau bedeutet dann Inklusion? Das System sieht vor, dass nach intellektueller Begabungen getrennt wird. Dies wird in meinem Bundesland auf Basis der Noten im Grundschulzeugnis vorgenommen. Das kann man jetzt gut oder schlecht finden, es ist erstmal Realität. Wie "weit" soll dann Inklusion auf dem Gymnasium gehen?
    Also, dass Inklusion auch am Gymnasium von körperlich behinderten Personen kein Thema sein sollte, hatten wir ja oben schon. Dass man Personen auf dem Autismusspektrum, die die intellektuelle Begabung mitbringen, auf jeden Fall auch durch das Abitur bringen sollte, hatten wir auch schon. Ich kann mir das zumindest theoretisch auch für Schüler vorstellen, die in der emotionalen-sozialen Entwicklung gestört sind.
    Wie ist es denn aber dann mit Schülern mit Lernbehinderungen. Oder, wenn ich an diesen prominenten Fall vor 15 Jahren oder so in BaWü denke, in Fällen wie Down Syndrom. Ist es da nicht innerhalb eines dreigliedrigen Schulsystems widersprüchlich, wenn ich solche Kinder im Gymnasium beschule, wenn andere Kinder, die vielleicht zu viele Dreien und Vieren im Grundschulzeugnis hatten, auf die Realschule oder die Hauptschule müssen? Und was heißt dann "es funktioniert"? Dass man sie irgendwie durch den Schulalltag bringt und die anderen Kinder dabei lernen, mit Menschen umzugehen, die eben "anders" sind? Reduziert das diese Kinder nicht zu (Lern-)Objekten? Ich bin nicht in der Situation, aber ich könnte mir vorstellen, dass ich mir als Vater eines Kindes mit Behinderung diese Frage durchaus stellen würde. Oder heißt "funktioniert", dass diese Kinder langfristige Freundschaften und Beziehungen über die Schulzeit hinaus entwickeln? Und ist das so, geschieht das? "Funktioniert" das wirklich? Oder heißt "funktioniert", dass sie Abitur machen?

    Mein Eindruck ist, und aufgrund mangelnder Erfahrung ist es wirklich nur ein Eindruck, dass in solchen Diskussionen oft nicht klar ist, worüber man überhaupt genau spricht. Zumindest ist es nicht allen klar. In dieser Diskussion zumindest mir nicht.

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