Arbeiten, wenn man krank ist

  • chemikus08 : Eigentlich eine gute Frage, da damit in den seltensten Fällen jemand hausieren geht. Vielleicht tue ich auch den jeweiligen Leuten Unrecht. Die Fälle, die ich gerade im Kopf habe, haben oft ihre Arbeit gekündigt, hätten eigentlich noch Kündigungsfrist, sind aber in den verbleibenden Wochen krankgeschrieben. Dahinter kann natürlich auch eine psychische Grundlage, die man von außen nicht sieht, stecken.

  • Wenn der Kündigung ein angespannten Arbeitsverhältnis voraus ging und derjenige noch keine Anschlussbeschäftigung hat, wäre es sehr unwahrscheinlich, dass keine psychische Ausnahmesituation bestand. Spreche da aus eigener Erfahrung und habe in so einer Situation zitternd im Auto auf dem Seitenstreifen gestanden, danach habe ich mich krank schreiben lassen, eindeutig nicht missbräuchlich sondern viel zu spät.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Ich hatte auch mal ein sehr schwieriges Arbeitsverhältnis, habe aber tatsächlich nie an eine Krankschreibung gedacht, da ich schlichtweg nicht wusste, dass das überhaupt eine Option ist. Der Schritt der Kündigung selbst war eine ziemliche Erleichterung und die letzten Tage habe ich dann auch irgendwie herumgebracht - mit dem Wissen, dass es bald vorbei ist.

  • Ich hatte auch mal ein sehr schwieriges Arbeitsverhältnis, habe aber tatsächlich nie an eine Krankschreibung gedacht, da ich schlichtweg nicht wusste, dass das überhaupt eine Option ist. Der Schritt der Kündigung selbst war eine ziemliche Erleichterung und die letzten Tage habe ich dann auch irgendwie herumgebracht - mit dem Wissen, dass es bald vorbei ist.

    Ich war die letzten Wochen im Ref nach der Prüfung auch krankgeschrieben, denn ich fand meine Schulleitung (die beleidigt war und mich schon in der Prüfung gerne hätte durchfallen lassen) zum K*tzen, im wahrsten Sinne. Ich hatte damit in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft schon 7 kg abgenommen (und nein, es hörte auch zur 12. SSW nicht auf, ich habe bis zur Geburt so weitergemacht, wenn nachher eben weniger), das wurde erst besser als ich dort nicht mehr war.

    In der nächsten Schule war das kein Problem mehr.

  • Siehst Du, das hatte ich mir gedacht und ich würde es mir hier wünschen. In Deutschland musst Du als Arzt darauf achten, dass du genügend Patienten die Stunde durchschleust. Im Regelfall hast Du in der Hausarztoraxis 5 Minuten.

    Mein Hausarzt nimmt sich immer die nötige Zeit. Wenn es nur darum geht, dass man durch ist und einfach eine Woche Ruhe braucht (kommt bei mir bisher nicht vor, kenne aber entsprechende Menschen persönlich), dann ist oft nicht mal ein Gespräch mit dem Arzt notwendig. Wozu auch? Wenn sich solche Krankschreibungen häufen, dann nehmen sich die Ärzte (Gemeinschaftspraxis) auch Zeit, unterhalten sich länger mit dem Patienten, klären ab, ob nicht bspw. psychologische Probleme vorhanden sind usw. Ich hatte noch nie das Gefühl, dass sich, bei mir, meiner Frau (auch nicht, als wir noch gesetzlich versichert waren), ihren Eltern (die gesetzlich versichert sind) oder unseren gesetzlich versicherten Freunden, die zur selben Praxis gehen, zu wenig Zeit genommen wurde. Das ist immer eine gute Abwägung. Meistens reichen fünf Minuten vollkommen. Man muss nicht für jeden Quatsch eine viertel Stunde mit den Ärzten sprechen.

  • Im Regelfall hast Du in der Hausarztoraxis 5 Minuten.

    Fünf Minuten als "Regelfall"?!? Puh, was bin ich froh, dass ich mind. vier Hausarztpraxen (meine eigene, die meines Lebensgefährten und zwei, bei denen mehrere Verwandte und Bekannte Patient*innen sind - und nein: alle letztgenannten sind nicht privat versichert) kenne, wo sich die Ärztinnen und Ärzte soviel Zeit für Gespräche und Behandlungen nehmen, wie es eben braucht. Kann sein, dass es mal nur fünf Minuten oder noch weniger sind, aber es kann auch mal eine Viertelstunde sein.


    Meine Meinung zum Ausgangsthema habe ich ansonsten schon vor über einem Monat geäußert. Schade übrigens, dass der TE Dendemeier sich ebenso lange hier schon nicht mehr gemeldet hat :( .

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich in Deutschland zuletzt in einer Hausarztpraxis war. Ich hatte da sicher seit 1999 gar keinen Hausarzt mehr. Insofern kann ich das null beurteilen. Hier in Basel bin ich sehr zufrieden. Ich habe eine sehr kompetente und nette Hausärztin mit der ich schon sehr lange Gespräche hatte. Allerdings zahle ich das dann auch, so funktioniert einfach das System hier. Der monatliche Versicherungsbeitrag ist kleiner als in Deutschland, dafür zahle ich eben bei Bedarf.

  • In meiner Hausarztpaxis wird immer gefragt worum es geht und entsprechend Zeit eingeplant. Wenn man einen Infekt hat und einfach nur eine AU braucht und vielleicht kurz geprüft wird, ob die Lunge frei ist oder so geht das ja auch in wenigen Minuten. Wenn man mit was eher diffusem kommt wird mehr Zeit eingeplant.

    Von Fachärzten kenne ich es sehr unterschiedlich.

  • Der monatliche Versicherungsbeitrag ist kleiner als in Deutschland, dafür zahle ich eben bei Bedarf.

    Ist das Privat versichert? Wie ist das für ärmere Menschen geregelt? (ernstgemeinte Frage!!)

    Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert.

    Aldous Huxley

  • Es gibt hier kein "privat" und "gesetzlich". Es gibt ein Versicherungsobligatorium für alle, man kann sich allenfalls zusatzversichern. Zähne z. B. sind in der Pflichtversicherung nicht drin, müsste man extra abschliessen, wenn man meint, es sei nötig. Ansonsten begleicht man die Zahnarztrechnung immer selbst. Es gibt wohl irgendwelche Zuschüsse, die man beantragen kann, keine Ahnung wo und wie, betrifft mich nicht. Wäre ich in Deutschland gesetzlich versichert, würde ich mindestens das doppelte an monatlichem Beitrag zahlen. Dies nur mal so um die Relation klar zu machen. Es ist nicht "gemein" dass man nach Bedarf zahlt sondern in der Summe günstiger. Ist man chronisch erkrankt, gibt es die Möglichkeit das Versicherungsmodell entsprechend anzupassen, dann zahlt man eben auch einen höheren monatlichen Grundbetrag. Fatal sind so spontan eintretende Zustände wie der gynäkologische Eingriff, den ich letztes Jahr hatte. Der hat mich um mehrere tausend CHF ärmer gemacht. Das ist für jemanden, der nicht ganz so gut verdient, akut wohl schon ein Problem. Welche Lösungen es dafür gibt, das weiss ich nicht.

    • Offizieller Beitrag

    Ist das Privat versichert? Wie ist das für ärmere Menschen geregelt? (ernstgemeinte Frage!!)

    Ich kann nicht für die Schweiz sprechen, sondern für Frankreich:
    Tadaaa: sie gehen einfach nicht zum Arzt. (weil sie sicher so gesund sind..) :(

    In Frankreich ist die Sozialversicherung Pflicht, deckt aber nur einen (kleinen) Anteil ab. Sehr viele haben deswegen eine "Zusatzversicherung" ("mutuelle"), die aber sehr abdeckt (unterschiedliche Gesellschaften, unterschiedliche Verträge/Tarife.
    Die ganz Armen werden staatlich abgesichert und da wird alles (was im Katalog ist) vollständig übernommen. Es ist nicht einfach, aber mit Durchhaltewille kriegt man schon einiges hin (meine Schwester war ein paar Jahre wegen Arbeitslosigkeit und Umschulung unter der Verdienstgrenze (immer ab dem Jahr danach) und hat sehr aufwändige und kostspielige Zahnsachen machen lassen, die sie davor und danach nie hätte bezahlen können, allerdings hat sie auch die passende Akte, dass sie nicht noch viel länger warten konnte.
    Die untere und mittlere Mittelschicht wird aber an den paar Euros beim Hausarzt und den viel mehr Euros beim Facharzt eben oft scheitern. Dasselbe bei der Apotheke. Meine Mutter verlor ihre Zusatzversicherung, da war ich 9 (Jobverlust), es war ein Kampf, dass ich zu meinem Vater wechselte, und ich habe horrende Erinnerungen an meine Jugend (und es ist weiterhin so, also auch noch 2022), dass meine Mutter mehrere Wochen warten muss, um zum Physio zu gehen und sich den Rücken einrenken lässt, weil sie die Zuzahlung als "viel" wahrnimmt (unter anderem, weil wir vorher kein Geld hatten und heute zeigt sich nur, dass sie keinen besonders großen Respekt für die Ausbildung und Leistung einiger Berufe hat, denn ja, der "Masseur" hat lange studiert und möchte seine Miete bezahlen, er massiert nicht aus Spass an der Freude).

  • Wir haben in Deutschland schon ein sehr gutes System. Allerdings müsste die sprechende Medizin deutlich besser vergütet werden. Bei der Aparatemedizin haben wir ein Problem in beiden Richtungen. Einerseits gibt es eine Überbeanspruchung bei CT und MRT. Moderne Verfahren wie PET werden jedoch von Krankenkassen nur unzureichend bezahlt. Hier wäre eine Regulierung Mal dringend erforderlich.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • In der Schweiz gilt in vielen Bereichen des Lebens das Verursacherprinzip. Ist einfach ein Teil der Mentalität die sich an dieser Stelle sehr deutlich von der deutschen unterscheidet. Ich bezahle ja auch keine monatlichen Abfallgebühren sondern kaufe nach Bedarf Müllsäcke bzw. Abfallmarken. Wenn man nichts verursacht, bezahlt man eben nichts. Im Falle der Krankenversicherung gibt es natürlich schon ein gewisses Solidaritätsprinzip, es ist ja nicht beliebig vorhersehbar, wann und in welchem Umfang man Leistungen in Anspruch nehmen muss. Der Grundbetrag ist aber entsprechend niedriger angesetzt. Zumal ich über den Arbeitgeber unfallversichert bin und die Unfallversicherung auch bei Privatunfall zahlt.

  • Die meisten Schweizer, die ich kenne, empfinden das deutsche System übrigens als wesentlich ungerechter. "Privat" und "gesetzlich" hat so offensichtlich was von einer Zweiklassengesellschaft. In der Schweiz steht zumindest formal allen das gleiche Angebot offen. In der Realität entscheidet natürlich auch die eigene finanzielle Situation darüber, ob man sich Zusatzversicherungen leisten kann oder nicht. Ich habe übrigens keine einzige abgeschlossen, ich habe noch nicht rausgefunden wofür ich sowas bräuchte. Beim Zahnarzt war ich seit 2008 nicht mehr. Dass man hier immer Geld auf dem Konto haben muss, für den Fall der Fälle, ist klar. Dass es aber Personen gibt, für die das aus verschiedenen Gründen schwierig ist, ist auch klar. Ich habe jetzt mal Tante Google gefragt, wie viel man für eine Prämienverbilligung verdienen darf. Die Beträge erscheinen mir fair.

    • Offizieller Beitrag

    Aus französischer Sicht: ich sehe es ähnlich.
    Natürlich ist das französische System, in welchem die Ärzte entweder nach Kassentarif abrechnen oder selbst entscheiden, was sie bekommen, auch unfair, weil besonders gute Ärzte teuer sein können, aber wenigstens sind sie für alle teuer. Man konnte also eine Zusatzversicherung abschließen (die je nach Tarif eben 100% oder 150% oder 200% des offiziellen Tarifs abdeckt, usw..). Es ist jenseits von Zahn/Brille/ Sachen wie Physio/Ostheo jedem/jeder einigermaßen möglich, eine "normale" Zusatzversicherung zu haben, die eben bis 100% geht.
    MIR erscheint es fairer, dass der Arzt entscheidet, dass er "mehr wert" ist, als der Arzt je nach Patient und Versicherung um 9 Uhr 60 Euro bekommen und um 10 Uhr 280 Euro abrechnen kann.
    Meine Eltern, die eben ihre Brille selbst bezahlen müssen, und ggf. bestimmte Ärzte nur gegen Zuzahlung haben können, können immer noch nicht nachvollziehen, dass mein Arzt mehr an mir verdient, als an jemandem anderen (ich übrigens auch nicht).

  • Letztendlich muss jeder für sich entscheiden, wie er es hält, solange auf allen Ebenen klar ist, dass Aufgaben und Vorbereitungen keinesfalls eingefordert werden dürfen.

    Dabei sollten aber meiner Meinung nach alle folgende Aspekte im Blick behalten:

    1. Es kann eine Erwartungshaltung bei Schülerinnen/Schülern, Eltern und eben auch Dienstvorgesetzten erzeugen, wenn Kollegin*innen Aufgaben aus der Krankheit schicken - egal warum sie krankgeschrieben sind. Es gibt Kollegin*innen, die können solchen Druck schulterzuckend aushalten, andere aber vielleicht nicht und die handeln dann wider dem eigenen Wohlbefinden, wenn sie dem Druck nachgeben.


    2. Die Sorge darum, wie es der Klasse gibt und ob die Klasse gut versorgt wird, obwohl man selbst krank ist, halte ich für befremdlich und letztendlich kann sich so etwas auch langfristig auf die eigene Gesundheit auswirken. Wir sind alle ersetzbar, langfristig wie kurzfristig und dass ich mich darauf verlassen kann, auch wenn ich krank bin, ist für mich eine große Erleichterung. Und wenn man lange krank ist und deswegen den "Stoff" nicht schafft? Dann ist das halt so.

    Danke für deinen Beitrag! Ich stimme dir in beiden Punkten absolut zu!

    Die Erwartungshaltung, die sich bei meiner SL inzwischen eingestellt hat, hat dazu geführt,

    dass sie kritische Äußerungen tätigt, wie etwas folgende: "Es ist unkollegial, im Krankheitsfall kein Material zuschicken. ALLE anderen Kolleginnen tun das."

  • Die Sorge darum, wie es der Klasse gibt und ob die Klasse gut versorgt wird, obwohl man selbst krank ist, halte ich für befremdlich

    Ehrlich gesagt kaufe ich dir dieses Statement nicht ab. Es ist vollkommen richtig, was du infolge schreibst, nämlich dass wir alle ersetzbar sind und in unserer Abwesenheit dann eben eine andere Person den Job erledigt. In unserem Job geht es aber um Menschen, zu denen man im Laufe der Zeit eine Beziehung aufbaut. Ich halte es für befremdlich, wenn man da nicht dran denkt, wie z. B. die Abschlussprüfungen rauskommen werden, die man selbst nicht abnehmen kann.


    Ist mir letztes Jahr passiert, da hat es mich mit Covid erwischt und ein Kollege ist für mich eingesprungen. Die Prüfungen *sind* schlechter rausgekommen als hätte ich sie selbst abgenommen. Über die Gründe habe ich mich hinterher mit meinem Kollegen unterhalten, er weiss selbst, was nicht gut gelaufen ist. Für keine der betroffenen Schülerinnen war das am Ende matchentscheidend, insofern gab es da weder formal noch zwischenmenschlich irgendeine Art von Stress. Mir hat es im Einzelfall auch gar nicht mal irgendwie leid getan oder so, ich wusste vorher, dass diese eine Note nicht entscheidend sein wird. Aber natürlich habe ich an die Mädchen gedacht, als sie dran waren.


    Und natürlich wäre es was anderes, wäre ich irgendwo in der chemischen Industrie Produktionsleiterin oder sowas. Man hat zu einem doofen Farbstoff, der in einem grossen, stinkenden Kessel so vor sich hinrührt, nicht so den emotionalen Bezug wie zu einer Schülerin, bei der der Stress ausbricht weil sie kurz vor knapp erfährt, dass eine ihr gänzlich unbekannte Person ihre Abschlussprüfung abnehmen wird.


    Dieser emotionale Bezug und der Umstand, dass man an die Schülerinnen und Schüler denkt, während man zu Hause im Bett liegt, ist meiner Ansicht nach aber auch gar nicht das Problem. Der Stress wird durch Vorgesetzte verursacht, die nicht in der Lage sind, die Situation angemessen zu organisieren.

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